Schichtdienst und mäßige Bezahlung: Der Bahnbranche eilt ein schlechter Ruf voraus, vielfach fehlt es an qualifiziertem Fachpersonal. Die Deutsche Bahn schrieb 2023 über 68.600 Positionen öffentlich aus. Das entspricht einem Plus von 10 Prozent gegenüber dem Vorjahr, zeigteine Analyse des auf den Personalsektor spezialisierten Marktforschungsunternehmens Index Research.
Das Hamburger Start-up Loklöwen will sowohl der Personalnot als auch dem schlechten Ruf der Branche entgegenwirken. Die Lösung für diese
Herkulesaufgabe sehen die Gründer, Artur Penkala und Dennis Leonidis, darin, die Arbeitnehmer in den Mittelpunkt zu stellen. Das 2019 gegründete
Unternehmen „verleiht“ Bahnpersonal wie Lokführer oder Rangierbegleiter für jeweils mindestens 18 Monate an Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU).
„Viele EVU verstehen nicht, dass ein Lokführer keine Personalnummer ist, sondern ein Mensch. Auf familiäre Umstände wird zum Beispiel oft keine Rücksicht genommen“, kritisiert Penkala. Das wollen der 43-Jährige und sein 41-jähriger Mitgründer anders machen.
Die Idee für Loklöwen kam den beiden beim gemeinsamen Basketballspielen. Artur Penkala hat BWL studiert und betreibt seit über zehn Jahren eine
Logistikfirma im Hamburger Hafen. Dennis Leonidis hat nach einer Ausbildung zum Speditions- und Logistikkaufmann bei TNT Express Germany mehrere
Jahre in der Bahnbranche gearbeitet, mittlerweile ist er als Businesscoach und Berater tätig.
Konkret wirbt Loklöwen mit einem Monatsgehalt von circa 4.000 Euro netto für ihre Angestellten. Außerdem wird den „Löwen“, wie die Beschäftigten genannt werden, Mitsprache bei Einsatzorten und Arbeitszeit eingeräumt. Dazu gibt es Boni wie eine Zusatzkrankenversicherung, ein 13. Gehalt, eine
Bahncard 100 1. Klasse oder einen Dienstwagen, Weiterbildungen sowie Leasing-E-Bikes für die Mitarbeitenden und ihre Partnerinnen und Partner.
„Du kannst im Job nur eine gute Leistung bringen, wenn du den Rückhalt von zu Hause hast. Auch zu unseren Sommerfesten oder Weihnachtsfeiern sind die Partnerinnen und Partner unserer Mitarbeiter immer mit eingeladen“, betont Penkala. Auch zu Geburtstagen werden den Familienmitgliedern kleine
Geschenke zugeschickt.
Benefits, die fast zu schön klingen, um wahr zu sein. Doch seit der Gründung vor fünf Jahren ist der Personaldienstleister auf mittlerweile 80 Mitarbeiter und etwa 20 Kunden gewachsen, darunter DB Regio und DB Cargo, die belgische Güterbahn Lineas, VTG oder CFL Cargo. Der erste Kunde war kurz nach der
Gründung TX Logistik, ein Unternehmen der Mercitalia-Gruppe, in der die Logistikaktivitäten der staatlichen italienischen Bahn FS Italiane Group gebündelt sind.
Finanziell möglich ist das Ganze unter anderem dadurch, dass die EVU für den Einsatz der Leihmitarbeiter deutlich höhere Stundensätze an Loklöwen zahlen als an die eigenen Arbeitnehmer. Seit zweieinhalb Jahren bildet das Jungunternehmen über eine eigene Akademie zudem selbst Lokführer aus – inklusive
Übernahmegarantie nach bestandenerAbschlussprüfung.
„Irgendwann war die Nachfrage so hoch, dass wir sie durch externen Zulauf nicht mehr
abdecken konnten. Außerdem waren wir mit der Qualität vieler Ausbildungseinrichtungen am Markt nicht zufrieden, der Qualitätsstandard ist zum Teil
ungenügend“, meint Penkala.
Die Kosten für die zwölfmonatige Ausbildung liegen zwischen 30.000 und 37.000 Euro. Finanziert wird das in der Regel durch einen Bildungsgutschein der
Arbeitsagentur, sofern die Bedingungen wie medizinische Tauglichkeit und das Mindestalter von 21 Jahren erfüllt sind. Pro Jahr hat die Loklöwen Akademie eigenen Angaben zufolge derzeit vier Klassen mit je 20 bis 30 Teilnehmern, zudem werden zwei Vollstipendien vergeben. Die Quote der
bestandenen Prüfungen liegt bei etwa 50 Prozent.
„Circa 60 Prozent bei uns in der Akademie sind relativ junge Menschen bis 26. Der Rest sind zum Beispiel Leute, die ihren vorherigen Job nicht mehr ausüben können oder einfach wechseln wollen“, sagt Penkala. „In der Geschäftsleitung der meisten EVU sitzen Menschen aus älteren Generationen, die der Meinung sind, dass nur viel Fleiß und viel Malochen zum Ziel führen. Erklär das mal einem Millennial, dem seine Work-Life-Balance wichtig ist und der gerne viel bei
seiner Familie sein möchte.“
Um für viele Lebensmodelle zu passen, ist die Ausbildung nicht nur in Präsenz in den Schulungsräumen im Hamburger Stadtteil Hammerbrook möglich,
sondern auch hybrid. „Wir wollten jedem die Freiheit geben, in eigener Geschwindigkeit und in dem Raum zu lernen, der zur persönlichen Lebenssituation passt. Wenn man zum Beispiel Kinder oder nebenbei noch einen Job hat, kann man nicht acht Stunden am Tag die Schulbank drücken“, weiß Gründer
Penkala. Für den Praxisanteil der Ausbildung wird ein Betriebsbahnhof angemietet.
Um Menschen für Loklöwen zu begeistern, ist das Start-up auf Plattformen wie TikTok, Instagram und YouTube aktiv. „Ein wichtiger
Aspekt ist auch die Mund-zu-Mund-Propaganda. Wir profitieren stark davon, wenn Mitarbeiter und Interessierte in ihrem Bekanntenkreis positiv über uns
reden – zum Beispiel, weil sie der Chef persönlich nach ihrer Bewerbung angerufen hat“, sagt Penkala.
Auch mit ausgefallenen Marketingmaßnahmen wie Straßenau%lebern (Floor Graphics) vor dem Arbeitsamt haben es die Gründer bereits probiert: „Der Return war zwar nicht groß, aber die Leute reden darüber. Genauso wenn wir am Hauptbahnhof kostenlosen Kaffee mit unserem Logo auf den Bechern verteilen.“
Langfristig wollen die Gründer eine Art Standard für die Ausbildung zum Lokführer entwickeln, der alle wichtigen Aspekte abdeckt. „Unser Erfolg zeigt, dass es möglich ist, ein Unternehmen aufzubauen, das sowohl wirtschaftlich erfolgreich ist als auch den Menschen in den Mittelpunkt stellt“, ist Leonidis überzeugt.